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Habe ich bei der Wahl eine Wahl?

 

Die Bundestagswahl steht an. Wir, als Homo sapiens, schauen uns Werbespots, Plakate und die Wahlprogramme an, wägen alle Argumente gegeneinander ab und entscheiden uns schließlich für die eine oder die andere Partei. Wir sind der rational denkende und vernünftig entscheidende Mensch. Dieses Menschenbild wird zwar gerne als Maß aller Dinge betrachtet, jedoch haben Verhaltensforscherinnen und Psychologinnen längst herausgefunden, dass Menschen Entscheidungen selten rational treffen [1]. Selbst bei so wichtigen und ernsten Themen wie der Bundestagswahl beeinflussen viele verschiedene Faktoren unsere Entscheidungsfindung und dies geschieht meist ganz unbewusst. In der Verhaltensforschung gibt es eine Vielzahl von untersuchten Faktoren, die unsere Entscheidungsprozesse beeinflussen. Im Folgenden sollen drei Bereiche vorgestellt werden.

1) Überzeugungen und Einstellungen

Überzeugungen sind uns ungemein wichtig. Wir kämpfen für sie und sie bestimmen unser Leben – oft auch unbewusst. Vielleicht äußern sie sich darin, dass für uns die Karriere das oberste Ziel ist, oder darin, dass wir einer bestimmten Religion angehören oder darin, dass wir uns impfen oder nicht impfen lassen möchten. Überzeugungen sind uns oft wichtiger als Sachargumente und sie bestimmen viele unserer Entscheidungen: [2,3] Die Ernährungsweise, die Modellwahl beim Kauf eines Autos, die Wahl der Schule für die Kinder und natürlich auch die Wahl einer Partei. Doch was steckt hinter den Überzeugungen oder Weltanschauungen? Woher kommen diese Überzeugungen und entscheiden wir wirklich selber, was unsere Überzeugungen sind? Oft sind sie von klein auf erlernt, wir haben vielleicht unzählige Male gehört, dass das Lebensziel der Aufbau einer Karriere und das Erreichen eines gewissen Status sei. Wir folgen diesem Ziel – vielleicht sogar ohne zu reflektieren -, da es zu einem Teil unserer Identität geworden ist, unseren Selbstwert bestimmt und so sehr zu unserem Selbstbild gehört, dass es nicht hinterfragt wird [4,5]. Doch bestimmen wir dann selbst unser Leben? Wir müssen uns vielleicht erst bewusst werden, dass wir diese Überzeugungen haben und diesen folgen, um anschließend zu entscheiden, ob wir dies wirklich wollen. Wir können aber auch in uns hineinhorchen und uns ganz bewusst für ein anderes Lebensziel erreichen. Vielleicht eines, das uns mehr Zeit und am Ende womöglich mehr Glück beschert. Dann haben wir wirklich selber entschieden. Selbstreflektion ist also der Schlüssel. Genauso ist es bei einer Bundestagswahl. Wählen wir selbstreflektiert und wägen Aussagen der Wahlprogramme ab (bspw. mit Wahlomaten) oder wählen wir, weil eine Partei unsere Überzeugungen und unser Weltbild widerspiegelt ohne vielleicht die Ziele und deren Plausibilität genauer abgewogen zu haben?  Ein sicheres Zeichen, um zu erkennen, dass einen eine Überzeugung oder ein Weltbild gerade ‚fernsteuert‘ ist das Aufkommen von Emotionen. Reagiert man empört, wenn jemand sagt, „iss kein Fleisch!“ oder „die Partei X kann man ja auf keinen Fall wählen“, dann haben Sie mit Sicherheit eine Überzeugung, die angegriffen wurde, identifiziert. [6]

2) Der Autopilot

Wenn Menschen mit bestimmten Reizen (oder Entscheidungen) konfrontiert werden gibt es zwei verschiedene Arten, auf diese Reize zu reagieren. Die erste könnte man als “inneren Autopiloten” bezeichnen. Dieser fällt reflexartige Entscheidungen und funktioniert automatisch und schnell. Er arbeitet dabei mit wenig oder gar keiner Anstrengung. Dieses System greift auf Informationen aus der Erfahrung oder Konditionierung zurück, die durch wiederholtes ‚Erlernen‘ erworben wurden, verlässt sich auf Gefühle und Eindrücke und hilft uns, mühelos Probleme zu lösen. Dabei ist es jedoch sehr anfällig für Fehler und Vorurteile. Hat man beispielsweise immer wieder gehört, Klimaschutz sei nicht machbar oder zu teuer, dann glaubt man das irgendwann. Wer macht sich schon die Mühe, selber zu recherchieren. Als Alternative zum „Autopiloten“ können wir bei Entscheidungsfragen aber auch mit einer Art „Analyse-System“ reagieren, welches eine möglichst rationale, zumindest aber abgewogene Entscheidung anstrebt. Dieses benötigt sehr viel Hirnschmalz, denn es beinhaltet anstrengende geistige Aktivitäten. Um mit diesem System eine Entscheidung zu treffen, werden sämtliche vorhandene Informationen genutzt und komplexe Überlegungen angestellt. Dieses System ist weniger anfällig für Fehler, es benötigt jedoch mehr Ressourcen und mehr Zeit um eine Entscheidung zu treffen. [7]

3) Das soziale Umfeld

Menschen sind Herdentiere. Wir orientieren uns oft ganz unbewusst an den uns wichtigen Menschen in unserer Umgebung. Auch unsere Entscheidungen treffen wir immer in einem sozialen Kontext. Auch wenn keine anderen Menschen direkt in unserer Nähe sind beeinflussen soziale Normen unser Verhalten. Soziale Normen äußern sich in dem sozialen Druck ein bestimmtes Verhalten auszuführen oder zu unterlassen. Diese Normen werden auch aufgrund von Überzeugungen gebildet, in diesem Fall sind es soziale Überzeugungen. Soziale Überzeugungen sind eine Bewertung dessen, was andere Menschen von einer Person (aus ihrer Sicht) erwarten, verbunden mit der Bereitschaft, diese Erwartungen zu erfüllen. [8]

Versuchen Sie einmal ihren Entscheidungsprozess bei der Bundestagswahl zu reflektieren und stellen Sie sich folgende Fragen:

  • Habe ich alle relevanten Informationen eingeholt um eine rationale Entscheidung zu treffen (bspw. Die Wahlprogramme gelesen und verglichen oder einen Wahlomat verwendet)?
  • Verlasse ich mich bei der Bewertung der Parteien auf meine Gefühle und Sympathien oder auf Fakten?
  • Wie viel Zeit habe ich mir bisher genommen, um zu einer Entscheidung zu kommen?
  • Wie viel Anstrengung habe ich auf mich genommen, um zu einer Entscheidung zu kommen?
  • Habe ich Energie darauf verwendet, offene Fragen zu klären und alle vorhandenen Informationslücken zu schließen?
  • In wieweit orientiere ich mich bei der Wahl an den Meinungen meines sozialen Umfelds?
  • Erwarten meine Freunde und meine Familie von mir, dass ich eine bestimmte Partei wähle?

Quellen

  1. Ariely, D., & Jones, S. (2008). Predictably irrational. New York, NY: Harper Audio.
  2. Klöckner, C. A. (2015). The psychology of pro-environmental communication: beyond standard information strategies. Springer.
  3. Wolfe, S. E., & Tubi, A. (2019). Terror Management Theory and mortality awareness: A missing link in climate response studies?. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, 10(2), e566.
  4. Sparks, P. (2000). Subjective expected utility-based attitude–behavior models: The utility of self-identity. In D. J. Terry & M. A. Hogg (Eds.), Attitudes, behavior, and social context: The role of norms and group membership (pp. 31–46). Lawrence Erlbaum Associates Publishers
  5. Halloran, M. J., & Brown, A. K. (2007). Mortality salience and worldview defense: The role of self-esteem and culturally valued behavior. Progress in Asian Social Psychology, 6, 241-253.
  6. Burke, P. J., & Stets, J. E. (2009). Identity theory. Oxford University Press.
  7. Daniel, K. (2017). Thinking, fast and slow.
  8. Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational behavior and human decision processes, 50(2), 179-211.

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