Die guten Samen gießen
Kommunikation beim Klimaschutz
Wir sind es leid, fast täglich hören wir als Klimaengagierte neue, unsinnige Falschmeldungen über erneuerbare Energien, von der angeblichen Notwendigkeit von Gasheizungen und von Autobahnen, die uns fehlen. Wir können es nicht mehr hören, wenn Menschen, die den Wohlstand der Menschheit auch in Zukunft bewahren möchten, als »grüne Lobby« verunglimpft werden, wenn Wissenschaft »Ideologie« vorgeworfen wird. Da ist es nur natürlich, dass wir beginnen, unsere »Feinde« zu hassen und in sozialen Medien oder sogar der Realität zu beschimpfen. Denn Politiker verspielen unsere Zukunft. Sie handeln egoistisch, landen später in Aufsichtsräten und haben vielleicht sowieso keine Kinder, sodass ihnen die Zukunft egal ist. Wir hassen die Autofahrer, die Menschen von der Straße zerren, den Porschefahrer, ja wir hassen bald die ganze fossile Welt. Und dazu gehören leider oft auch weniger engagierte Verwandte oder Freunde.
Jetzt wäre ein guter Moment, kurz innezuhalten. Denn was passiert da gerade mit uns? Und wem nutzt dies? Wenn wir in uns schauen, fühlen wir uns vielleicht verzweifelt, fühlen Wut oder Ärger. Immer, wenn Emotionen wie Ärger in uns aufkommen, ist das ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass wir unsere Weltbilder angegriffen fühlen. Die Geistesformationen also, die wir von Kindesbeinen an, von den Eltern, in der Schule oder bei der Arbeit über die Jahre erlernt haben, wie z. B. »Menschen sollen gerecht sein«, oder »man steht füreinander ein«, »die Gesellschaft kümmert sich um ihre Kinder«. Diese Geistesformationen definieren uns. Wir denken, »ich bin ein guter Mensch«, wenn ich für sie einstehe. Und so definieren sie auch unseren Wert in der Gesellschaft, der uns von uns selbst und anderen zugeschrieben wird.
Weltbilder zu haben, ist Teil des Menschseins. Doch haben wir uns nur teilweise selbst ausgesucht, welche Weltbilder wir vertreten und welche nicht. Wir haben uns unsere Eltern nicht ausgesucht oder die Gesellschaft, in der wir leben. Wir wurden vielleicht über die Jahre auch unbewusst durch Freunde oder die Arbeit beeinflusst. Andere Menschen wachsen anders auf und haben andere Weltbilder oder Geistesformationen. Sie haben vielleicht gelernt, dass wirtschaftliches Wachstum, Reichtum oder Luxus Ausdruck eines erfolgreichen und glücklichen Lebens sind. Auch sie können nur teilweise etwas für die erlernten Geistesformationen. Und sie fühlen sich nun vielleicht durch die angegriffen, die eine Abkehr von wirtschaftlichem Wachstum fordern, die Althergebrachtes in Frage stellen, die den eigenen, seit Jahrzehnten gelebten Lebensstil kritisieren und damit den eigenen Selbstwert in Frage stellen. Wer hat nun Recht? Recht zu haben, hat etwas Absolutes. Und auch das Konzept »Recht haben« entspringt einem Weltbild. Vielleicht müssen wir die Frage, wer Recht hat, gar nicht stellen, sondern zunächst einfach anerkennen, dass Menschen unterschiedlich aufgewachsen sind und dass jeder seine eigenen Weltbilder hat, die automatisch und zunächst einmal unreflektiert verteidigt werden, sobald sie angegriffen werden, um unseren Selbstwert zu schützen.
Wie in einem vorherigen Artikel aufgegriffen, atmen wir alle dieselbe Luft, trinken dasselbe Wasser. Dazu gehört auch: Uns allen sind Weltbilder wichtig. Sie entstammen Samen in uns, die wir über unser Leben angesammelt haben. Gute Samen und schlechte Samen schlummern in uns, oder neutraler ausgedrückt, heilsame und unheilsame, hilfreiche und weniger hilfreiche. Solche, die helfen können, anderen zu helfen oder die Klimakatastrophe abzuwenden. Aber auch solche, die genau das Gegenteil bewirken können. Vielleicht übermannt uns manchmal die Lust nach einem Steak oder wir sehnen uns nach Fernreisen. Oder unser Ego strebt nach Selbstverwirklichung und Bestätigung. Vielleicht tut es einem gut, einem SUV Fahrer mal ordentlich die Meinung gesagt zu haben? Dem haben wir’s gezeigt! Doch ist dies hilfreich, hilft das, die Zukunft unserer Kinder zu sichern? Ist das Streben des Egos nach Selbstwert ein guter Samen? Genauso wie in uns schlummern auch in Menschen, denen das Klima eher fernliegt, diese zwei Arten von Samen. Das bedeutet auch, wir können nicht nur entscheiden, welche Samen wir in uns gießen, sondern welche wir in anderen gießen. Loben wir also jedes Engagement für die Zukunft oder kritisieren wir nur, was nicht gut läuft? Kritisieren wir eine Person als solche und greifen sie an, stellen wir also deren Selbstwert in Frage? Das passiert uns nur allzu leicht, oft unbewusst, und anschließend fühlt sich womöglich unser Ego sogar befriedigt. Wir könnten aber die Person stattdessen unangetastet lassen und nur schädliche Taten kritisieren und auf der anderen Seite die positiven Taten vielleicht gar wertschätzen lernen und loben, statt sie als selbstverständlich zu übergehen. D.h. wir könnten lernen, die heilsamen Samen zu gießen und den unheilsamen zu keinem Wachstum zu verhelfen – in anderen und auch in uns. Dazu mag es helfen, den Wert jeder Person zu erkennen und einfach wahrzunehmen, dass jeder seinen eigenen Entwicklungsweg hinter sich hat.
Was passiert, wenn wir stattdessen nur angreifen, die schlechten Samen, den Ärger gießen, Menschen dazu bringen, Weltbilder und damit den eigenen Selbstwert zu verteidigen? Sie werden – genauso, wie wir das tun – ihre Weltbilder verteidigen. Sie werden kompromissloser werden, sich nach Möglichkeiten umschauen, ihren Selbstwert wiederherzustellen. Und genau dabei hilft die fossile Lobby. Sie profitiert letztendlich davon, dass durch Angriffe aller Seiten die Diskussion längst keine sachliche mehr ist. Es geht oftmals nur noch um das Verteidigen von Ansichten, von Selbstwert – damit am Ende die fossile Industrie noch ein paar mehr Jahre profitieren kann. Oder wie Petra Pinzler kürzlich in der Zeit schrieb: Es geht um »die letzten Zuckungen der Fossilen« [1]. Jedes Argument, sei es noch so absurd, ist willkommen, solange es eine Möglichkeit bietet, an Weltbildern festzuhalten, kein Gesicht zu verlieren und noch das Letzte herauszupressen. Inzwischen arbeiten in der EU viele Zigtausende von Vollzeitlobbyisten (laut [2] 25 000 in der EU, 70% davon für die Industrie). Alleine von 2010 bis 2019 gaben Öl und Gaskonzerne 250 Mrd. Euro für Lobbyismus in der EU aus [3], [4], es gab hunderte von Treffen mit hochrangigen Politikern. Und inzwischen werden Kampagnen noch verbitterter. Man sieht täglich Werbekampagnen der Industrie in sozialen Medien. Eckart von Hirschhausen formulierte es so: »Es ist schwer ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn Andere sie hauptberuflich zerstören«.
Wundert man sich da, wieso es so viele Narrative gibt, die nahelegen, dass wir von fossiler Energie nicht so einfach wegkommen? Oder solche, die wirtschaftsfreundliche Weltbilder unterstützen? Wieso es möglich ist, in wenigen Monaten Gas-Terminals zu planen, zu genehmigen und zu bauen, während etwas so Einfaches wie ein Tempolimit nicht zustande kommt? Wirtschaftliches Wachstum sei nötig, Innovation sei die Lösung, schlauen Ingenieuren werde schon etwas einfallen, Wärmepumpen taugten nur in Neubauten, und, und, und. Für all dies gibt es einen guten Grund: Zigtausende von Menschen, die als Vollzeitbeschäftigung für eine Verschleppung der Energiewende kämpfen. Doch wir sind diesen Kampagnen nicht machtlos ausgeliefert: Gießen wir die schlechten Samen (in uns oder anderen), verstärken wir den Dissens und treiben Menschen vielleicht gerade den maßgeschneiderten Argumenten der Lobby in die Arme.
Außerdem verkennen wir vielleicht, dass andere Menschen auch nur dasselbe möchten wie wir: Glück finden und etwas wert sein. Sie denken nur, dies auf andere Art und Weise erreichen zu können als wir dies tun. Sehen wir den Menschen, vielleicht in seinem Weltbild genauso gefangen wie wir, dann können wir Handlungen kritisieren ohne Menschen anzugreifen. Dann können wir vielleicht sagen: »Ich respektiere Sie als Mensch, Sie haben im Beruf viel erreicht, aber diese Handlung führt zum Tode vieler Menschen.«, statt anzugreifen und einen Gegenangriff zu provozieren. Wir können weiter Samen gießen und sagen: »Ihnen liegt das Wohl Ihrer Mitmenschen am Herzen, das sieht man an diesen oder jenen Aktivitäten (jedem Menschen sind andere Menschen oder die Familie irgendwie wichtig, vielleicht engagiert sich jemand in Vereinen oder der Nachbarschaft oder lädt gerne Freunde ein), dann lassen Sie uns doch über Wege nachdenken, wie diese auch in Zukunft gut leben können!« Oder wir erzählen einfach über eigene Erfahrungen mit der Balkon-Solaranlage oder der Zugreise nach Bordeaux. Es ist jedoch leicht zu sagen »Ich respektiere Sie als Mensch«, es ist viel schwerer, dies wirklich zu tun. Doch erwarten wir von unserem Gegenüber genau dasselbe.
Genauso können wir versuchen, in uns selbst keine schlechten Samen zu gießen, sondern nur positive. Zu erkennen, wenn wir nicht bewusst, sondern aus Ärger agieren und beispielsweise einen verletzenden Tweet absetzen möchten, weil nun genau wir unsere Geistesformationen verteidigen, weil wir es so satt sind. Wenn unsere Geistesformationen (und nicht wir!) bestimmen, was wir tun oder sagen. Wir können dann innehalten und uns anders entscheiden, lieber mit gutem Beispiel voranzugehen, auch wenn das deutlich schwerer fällt. Zu zeigen, dass es vielen Menschen ein Anliegen ist, die spaltende Diskussion zu beenden und stattdessen mutig in die Zukunft zu gehen und diese mitzugestalten. Zu zeigen, dass es viele Menschen gibt, die die Energiewende vorantreiben möchten, auch wenn die Politik hinterherhinkt. Der Wandel kann nicht auf die Politik warten, die Politik folgt aber üblicherweise dem Wandel der Gesellschaft. Je mehr Menschen Fakten schaffen, in ihrem Leben etwas ändern, je mehr Menschen wertschätzend miteinander über die Wende reden, desto absurder werden die Argumente der fossilen Lobby erscheinen und desto weniger Menschen haben das Gefühl, sich an deren Argumente klammern zu müssen. Je mehr Menschen einfach nur erzählen, dass sie schon lange erfolgreich mit einer Wärmepumpe oder Klimaanlage im Altbau heizen, selber Strom auf dem Balkon erzeugen, schon lange nur selten oder kein Fleisch mehr essen, die Bahn nutzen etc., desto absurder ist es, wenn Menschen weiterhin behaupten, es ginge nicht ohne Gas, Öl und Kohle. Und wenn wir allen Menschen ihren Wert lassen, egal ob sie für oder gegen die Klimakrise arbeiten, brauchen sie die Argumente der Lobby gar nicht. Erinnern wir uns an uns selber vor zehn oder zwanzig Jahren, haben wir klimafreundlich gelebt? Wir haben alle gute Samen in uns, die nur darauf warten gegossen zu werden.
Quellen:
[1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-05/gebaeudeenergiegesetz-waermepumpen-fdp-5vor8, aufgerufen am 08.06.2023
[2] https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-in-der-eu/, aufgerufen am 08.06.2023
[3] https://www.theguardian.com/business/2019/oct/24/fossil-fuel-big-five-spent-251m-lobbying-european-union-2010-climate-crisis, aufgerufen am 08.06.2023
[4] https://corporateeurope.org/en/2019/10/big-oil-and-gas-spent-over-250-million-euros-lobbying-eu, aufgerufen am 08.06.2023