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Wie sieht unsere Wirtschaft in Zukunft aus?

1. Risiken

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Wirtschaftswachstum gilt als Garant für Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit. Doch wie sicher ist unser Wirtschaftswachstum tatsächlich noch? Die Finanzkrise, Schäden durch die Erderwärmung und Lockdowns durch Corona haben uns gezeigt, dass neue Zeiten angebrochen sind, für die wir unsere Wirtschaft fit machen müssen. Das World Economic Forum hat in seiner letzten Umfrage bei Unternehmen Risken und deren Wahrscheinlichkeit und Wirkung identifiziert [1] (siehe Graphik unten).

World Risk Report 2021
Wirtschaftsrisiken aus dem World Risk Report 2021 (World Economic Forum; zum Vergrößern klicken).

Die Risiken, die das World Economic Forum wahrscheinlichsten sind und gleichzeitig als am gefährlichsten bewertet wurden, sind in der rechten oberen Ecke zu sehen. Hierzu gehören Pandemien, Risiken, die mit dem Raubbau an der Natur und dem Klimawandel zusammenhängen, sowie Risiken durch den Verlust von Lebensgrundlagen, Überschuldung und einige weitere. Innerhalb der letzten 10 Jahren wurden diese Risiken als immer wahrscheinlicher und bedrohlicher eingestuft [2]. Doch wie sind wir zum diesem Status Quo gekommen? Wie hängt die Finanzkrise, Klimawandel, Verlust von Lebensgrundlagen, Überschuldung, oder wirtschaftliche Stagnation zusammen? Wieso überleben Unternehmen immer weniger lange (inzwischen im Schnitt weniger als 10 Jahre) und dies nicht erst seit der Corona-Krise [3]? Wieso protestieren Bürger weltweit gegen politische oder wirtschaftliche Bedingungen und Systeme und äußern Bedenken in Hinblick auf die größer werdende Lücke zwischen Arm und Reich [4]? Bei genauerer Betrachtung dieser Fragen stößt man immer wieder auf das Paradigma des wirtschaftlichen Wachstums. Woher kommt dieses eigentlich?

 

2. Ein Rückblick in die Geschichte

Wirtschaft funktionierte bis vor 400 Jahren noch ganz anders als heute: Geld wurde im Wesentlichen durch drei Mechanismen erworben: Arbeit, Handel oder Abgaben (z.B. Steuern oder Pacht). Wer mehr Geld verdienen wollte, musste – wenn möglich – mehr arbeiten oder Handel treiben. Es gab zudem eine Elite, die durch eigene Taten oder Taten ihrer Vorfahren geadelt wurden und Ländereien zur Verwaltung bekamen. Diese trieben Steuern ein. Zu dieser Kategorie kann man auch den Klerus rechnen. Über Jahrtausende gab es nur diese Erwerbsformen.

Bond der Dutch East India Company (1622-1623)
Anleihe der Dutch East India Company

Doch 1602 änderte sich das: Das erste Mal in der Geschichte der Menschheit verkaufte eine Firma, die Dutch East India Company, Firmenanteile und nun konnten Menschen, die Geld übrighatten, dieses in Firmenanteile investieren. Der sog. „Kapitalismus“ war geboren, d.h. Geld konnte zum ersten Mal mit Geld verdient werden (bzw. mit Aktien, die man sich kaufen konnte) [5]. Doch wieso war das so fundamental neu? Mehr Gewinn aus Arbeit, Handel oder Abgaben zu generieren hat einen Trade-off: Wer mehr Geld verdienen möchte, kann mehr arbeiten oder handeln, aber opfert so seine Freizeit. Er könnte versuchen, den Preis von Dienstleistungen bzw. Waren zu erhöhen, doch das geht nur sehr begrenzt, sonst bleiben Kunden aus und das Geschäft schrumpft. Genauso ist es bei Abgaben: Werden Abgaben zu sehr erhöht, riskiert man, dass die Wirtschaft Schaden nimmt.

Galeria Karstadt Kaufhof Filiale in Hagen, noch mit altem Logo
Bekanntes Beispiel einer Fusion: Galeria Kaufhof und Karstadt wurden 2019 zu dem Unternehmen Galeria Karstadt Kaufhof zusammengelegt (Foto: Klaus Bärwinkel, CC-BY-SA, Wikimedia Commons)

Bei Investitionen in Firmenanteilen ist es anders: Investoren sind in der Regel an hohem Gewinn interessiert und wenn eine Aktie nicht mehr gut läuft, verkaufen sie und schichten das Portfolio einfach um. Der durch Investoren bewusst oder unbewusst aufgebaute Druck fördert einen kurzfristigen Zeithorizont und kurzfristige Gewinne. Denn wer kauf schon einen Aktienfond für seine Rente, der keine Gewinne verspricht? Wirtschaftliche Prinzipien wie „Grow or die“ [6], die oft als Paradigma für eine funktionierende Wirtschaft zitiert werden, unterstützen Forderungen nach Wachstum.

Entsprechend haben viele Firmen einen kurzfristigen Zeithorizont und deren Lebensdauer sinkt stetig [7]; es kommt zunehmend zu Aufkäufen und Fusionen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen: Manche Familienunternehmen haben vor allem ein langfristiges Überleben ihrer Firma im Sinn und weniger kurzfristige Gewinne.

 

3. Aktiengesellschaften und Familienunternehmen

2008 hatten über die Hälfte aller Unternehmen, die seit über 200 Jahren bestehen, ihren Sitz in Japan. Als bekannte Beispiele für solche alteingesessenen Familienunternehmen gelten beispielsweise der Lebensmittelhersteller Kikkoman, der Autobauer Suzuki und das Bauunternehmen Takenaka [8]. Diese Traditionsunternehmen sind zwar große Konzerne und entsprechen weniger dem bodenständigen Bild von Familienunternehmen, an das hierzulande viele denken. Trotzdem lässt ein Blick in die Historie dieser Unternehmen erkennen, dass das Unternehmensziel der langfristige Erfolg über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ist. Wesentliche Eigenschaften sind langfristige Planung, Priorität auf Marktanteilen statt auf Gewinn, eine schwache Position der Aktionäre und Widerstand gegen Fusionen und Übernahmen.

Das Wort „Familienunternehmen“ bedeutet aber nicht, dass nur Familienmitglieder das Unternehmen leiten. Da das Hauptziel der sehr langfristige Unternehmenserhalt ist, werden die bestgeeigneten Kandidaten gesucht. Und werden diese nicht in der Familie gefunden, dann werden andere geeignetere Kandidaten außerhalb der Familie gesucht und gegebenenfalls adoptiert, um das Unternehmen zu erhalten (diese Praxis erklärt auch die hohe Quote an Adoptionen im Erwachsenalter in Japan [9]).

4. Grow or die?

Baumstämme

Aber was steckt überhaupt hinter dem oft zitierten Prinzip „Grow or die“? Tatsächlich stammt die These nicht von Wirtschaftsökonomen, sondern aus einer von Karl Marx formulierten Kritik am Kapitalismus (aus Das Kapital). Wirtschaftstheoretiker (und die Existenzdauer mancher familiengeführter Unternehmen) widersprechen der These jedoch, dass stetiges Wachstum eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft sei. Aber noch viel wichtiger: Fortwährendes Wachstum funktioniert langfristig nicht, wenn Ressourcen endlich sind.

Das wissen inzwischen auch Investoren, wie Blackrock, die langfristig ausgerichtete, d.h. nachhaltige Strategien fordern, sei es um die Ressourcenknappheit zu entschärfen, oder um Folgen des Klimawandels zu begrenzen [10, 11, 12]. Nur vereinzelt gibt es noch Stimmen, die auch die letzten verfügbaren Ressourcen erschließen möchten, um das Problem um ein paar Jahr zu verschieben [13]. Das heißt natürlich nicht, dass Wachstum immer schlecht war. Im Nachkriegsdeutschland war ein starkes wirtschaftliches Wachstum ein wesentlicher Faktor für die zügige Verbesserung der Lebensverhältnisse.   

5. Alternativen?

Wie sieht eine Alternative aus? Und was ist eigentlich der Zweck von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik? Als Alternative wird zum einen die Entkopplung des wirtschaftlichen Wachstums vom Ressourcenverbrauch genannt, beispielsweise durch mehr Recycling. Ein Weg, den Apple beschreitet (viele Produkte werden z.B. inzwischen komplett aus recyceltem Aluminium gebaut). Einige Fachleute [14] weisen jedoch darauf hin, dass diese Entkopplung kaum funktionieren kann, wenn stetiges Wachstum weiter als Prämisse gilt. Anschaulich kann man sich das so vorstellen: Es wird zum Beispiel schwer, nur Smartphones aus recyceltem Aluminium zu bauen, wenn jedes Jahr mehr verkauft werden. Außer dieser Kreislaufwirtschaft, d.h. Recycling, setzten viele Menschen Hoffnungen auf eine immer größere Bedeutung von Dienstleistungen. Wohlstand könnte nicht nur durch das Anhäufen materieller Güter empfunden werden, sondern durch das Wahrnehmen von Dienstleistungen.

Glückliche Familie feiert eine Geburtstagsparty im Garten

Allerdings ist die Wirksamkeit hin zu mehr Dienstleistungen umstritten, da viele Dienstleitungen genauso an Ressourcen gekoppelt, wie materielle Produkte [15, 16]. Wer zum Beispiel fliegen möchte, kann das nicht ohne Kerosin. Anders kann es aussehen, wenn man an Dienstleitungen wie die Dienste von Spotify oder Microsoft denkt, also solche, die vorwiegend an Energie gebunden sind, die auch erneuerbar hergestellt werden kann. Genauso können häufigerer Urlaub im Heimatland, soziale Veranstaltungen, Theaterbesuche und das Wahrnehmen anderer kulturelle Angebote noch relativ gut von Ressourcen entkoppelt werden.

Doch in vielen anderen Branchen wird dies schwierig. Für die Zukunft müssen wir Wirtschaft und Wachstum also überdenken. Welche Märkte werden auch in Zukunft noch florieren, weil deren Unternehmen bereits jetzt an Lösungen für knapp werdende Ressourcen und zu hohen Emissionen arbeiten? Dabei stellt sich auch die Frage, welches Ziel Wirtschaft überhaupt haben soll, wenn man überhaupt sagen kann, dass Wirtschaft ein Ziel hat?

Sonnenuntergang in Tianjin, China

Soll weiterhin die Gewinnmaximierung für Anleger im Mittelpunkt stehen oder soll sich Wirtschaft eher an Zielen mancher Familienunternehmen orientieren und eine langanhaltende, in die Zukunft gedachte Stabilität für die Gesellschaft ermöglichen?

Kommen wir zurück auf die ursprüngliche Frage, wie die Finanzkrise, Klimawandel, Verlust von Lebensgrundlagen, Überschuldung, oder wirtschaftliche Stagnation zusammenhängen (also die vom World Economic Forum genannten wirtschaftlichen Hauptrisiken)? Sie sind alle eng mit der Generierung von kurzfristigen Gewinnen verbunden. Es ist immer nur eine Frage der Zeit, wann sich Risiken auch in Krisen manifestieren (wie beispielsweise jetzt schon durch den Klimawandel und Pandemien, oder zuvor durch die Finanzkrise). Wenn Unternehmen und Anleger nicht selbstständig oder nicht schnell genug gegensteuern, wird dies die Politik tun, deren wesentliche Aufgabe es ja ist, starke Konjunkturschwankungen abzuschwächen und dadurch ertragbarer zu machen.

Es gibt verschieden weitere Ansätze, für Lösungsmöglichkeiten. Während die EU u.a. versucht durch mehr Kreislaufwirtschaft und Dienstleistungen zukunftssicher zu werden [17, 18], schlägt der Ökonom Christian Felber eine neue Art der unternehmerischen Zielsetzung vor. Nach seinem Konzept der Gemeinwohlökonomie sollen sich die Bilanzen von Unternehmen zukünftig nicht nur an ihren Gewinnen, sondern auch an ihrem Beitrag zum Gemeinwesen und zu einer intakten Umwelt messen lassen [19]. Diese auf lange Sicht nachhaltigere Wirtschaftsweise ähnelt den Grundsätzen vieler Familienunternehmen.

Ein anderer Ansatz, die sog. „Doughnut Wirtschaft“ von Kate Raworth, versucht die Ressourcenbegrenzung der Wirtschaft und Limitierung durch gesellschaftliche Grundbedürfnisse visuell darzustellen. Hierbei wird deutlich gemacht, dass sich Wirtschaft in Grenzen bewegen muss, um weiterhin zu funktionieren [20]. Überschreitet man diese Grenzen, führt dies zu Kosten, auch für die Wirtschaft.

Ausblick

Glückliche Familie mit Kindern draußen im Gras

Vielleicht hilft uns ja die Erkenntnis, dass es Jahrtausende auch ohne den fortwährenden Wachstumsdruck ging, wenn man an die Zeit vor der Dutch East India Company denkt. Viele Menschen sehen auch, dass das, was ihnen am meisten fehlt, nicht Geld ist, sondern Zeit. Zeit ist inzwischen ein Luxusgut geworden. Zeit für Entspannung, Zeit für Freunde und Familie. So oder so, die planetaren Grenzen werden vermutlich ein Umdenken, weg vom Wachstumsgedanken hin zum Erhaltungsgedanken, nötig machen. Und vielleicht werden wir dann feststellen, dass Erhalten statt ständig wachsen zu müssen uns gut tut und uns hilft, glücklich zu leben.

 


Quellen

  1. Global Risks Report 2021 des World Economic Forums.
  2. Global Risks Report 2010 des World Economic Forums.
  3. Artikel “Unternehmen werden im Schnitt nur 9 Jahre alt” auf Wirtschaftskurier.de.
  4. Artikel “Die wichtigsten globalen Risiken 2020 – Herausforderungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft” auf der-bank-blog.de.
  5. Goetzmann, William N.; Rouwenhorst, K. Geert: The Origins of Value: The Financial Innovations that Created Modern Capital Markets.
  6. Wikipedia-Artikel über “Wachtumszwang“.
  7. Artikel “Unternehmen werden im Schnitt nur 9 Jahre alt” auf Wirtschaftskurier.de.html
  8. Artikel “Was die über 1.000 Jahre alten japanischen Familienunternehmen uns lehren können” der Munich Business School.
  9. Artikel “How Japan’s family businesses use sons-in-law to bring in new blood” auf Financial Times (ft.de).
  10. Artikel “Blackrock will Kapital umschichten: Wie ernst nehmen Geldgeber den Klimawandel?” auf Tagesspiegel.de.
  11. Artikel “Finanzinvestoren fordern CO2-Neutralität” auf Deutschlandfunk.de.
  12. Artikel “Fünf Schritte zur grünen Wirtschaft” der Wirtschaftswoche (wiwo.de).
  13. Artikel “BDI – Industrie fürchtet Rohstoff-Knappheit” auf Handelsblatt.de.
  14. Kallis, G. 2017. Radical dematerialization and degrowth. (online)
  15. Kallis, G. 2017. Radical dematerialization and degrowth. (online)
  16. Kallis, I. 2019. Is Green Growth Possible? New Political Economy. (online)
  17. Artikel “EU Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft” der IHK Karlsruhe (karlsruhe.ihk.de).
  18. Artikel “Parliament wants to grant EU consumers a “right to repair“” von European Parliament News (europarl.europa.eu).
  19. Artikel über Grundlagen der Gemeinwohlökonomie von Ecogood.org (germany.ecogood.org).
  20. Artikel über “Doughnut-Ökonomie” auf doughnuteconomics.org.

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